König Koch – oder warum Köche in Berlin so verehrt werden
Es gab Zeiten, in denen die Architekten das Sagen in Berlin hatten. Sie waren die kreativen Helden der Hauptstadt. Heute zieren tätowierte Männer mit Vollbart und Kochschürze die Titelseiten der Hochglanzmagazine, auf denen einst die Le-Corbusier-Brillenträger im Rollkragenpullover zu sehen waren. Ina Hegenberger sprach im April 2017 mit dem renommierten Restaurantkritiker Dr. Stefan Elfenbein in der „Gaststätte am Ufer“ in Kreuzberg.[1]
Herr Dr. Elfenbein, ein bekannter Architekt hat sich darüber begeklagt, dass Köche mittlerweile wichtiger seien als Architekten. Ist da etwas Wahres dran?
In der Tat stehen Berlins Küche und Köche aktuell im Rampenlicht. Begonnen hat das vor rund einem Jahrzehnt. Und ja, in den 90ern waren Architekten Stars in Berlin. Es wurde überall gebaut und die Stadt veränderte sich rasant. Architektur war Stadtgespräch, Kulinarik steckte da noch in Kinderschuhen.
Das „neue Berlin“ steht, ist gebaut. Ist Architektur deshalb kein Thema mehr?
Fest steht, dass Berliner und Besucher heute oft eher frisch Angerichtetes genießen als Neugebautes. Es gibt bei Letzterem Highlights und Glanzlichter wie die neuen Museumsbauten etwa, auch in Potsdam. Vieles ist aber auch nicht gelungen, man schaue sich nur die Eigentumswohnungsklötze in Mitte an! Auch das verzapfen ja Architekten.
Blutwursttatar wie hier auf der Karte ist auch nicht jedermanns Sache.
Wie wär’s stattdessen mit dem Tatar von Roter Bete, der veganen Variante? Gute Köche müssen flexibel sein und Gästewünsche und Trends erfühlen. In der Beziehung wandelt sich Berlin noch immer rasant. Architekten haben da ein Handicap, geplant wird über Jahre – und was steht, ist in Stein gemeißelt. Köche können nachwürzen.
Köche machen es also allen recht?
Sie sprechen jeden an. Man kann sich auch menschlich mit ihrer Art von Kreativität leichter identifizieren – oder ihnen lustvoll nacheifern. Menschen aller Couleur sind leidenschaftliche Hobbyköche. Und um ‚richtiger‘ Koch zu werden, braucht es keinen Magister, keinen Doktortitel. Man macht eine Lehre bei einem Koch und schaut, was kommt, knallhartes Engagement mit eingeschlossen. Der Traum vom Tellerwäscher zum Starkoch ist real. Das Gros der Architekten im schicken schwarzen Designer-Hemd wirkt oft eher unnahbar – da helfen auch mal hochgekrempelte Ärmel nix.
Zurück zum Anfang, was war Auslöser des Köche-Booms?
Der kulinarische Boom in Berlin begann um 2005. Davor gab es wenig zu berichten. Hotels waren nach der Wende aus dem Boden geschossen, es gab einige sehr gute Hotelrestaurants. Aus aller Welt kamen auch schon die Neu-Berliner, um in der neu entdeckten und ja noch günstigen Metropole Träume zu verwirklichen. Es knackte aber noch im Gebälk, die Stimmung war mäßig: was wird, wie geht’s weiter!? Die WM, so habe ich es beobachtet, hat einen ersten Unterschied gemacht. Die Welt hat Berlin gefeiert, gute Laune und die Lust auf Zukunft sprangen über. Ein Ding nach dem anderen machte auf, junge Köche kochten ‚neue deutsche Küche‘, dann kam Street Food ...
... die Invasion der Kochsendungen – davon sind auch viele genervt!
Eine Magie muss trotzdem dahinter stecken.
Es köchelt, brutzelt, man bügelt dabei, es fühlt sich gut an, heimelig.
Das TV-Phänomen gab es in den 50er Jahren und jetzt wieder, man kann sagen beinah ab dem 11. September. In New York ging damals, 2001, die gewohnte Welt unter. Man musste sich Gutes tun: Blumen kaufen, die Wohnung streichen. In vielen Restaurants wurden die Tische enger zusammengerückt, das Licht gedimmt. Damals kam, wie ich das beobachten konnte, die Lust auf Mama-Küche oder Regionales auf, back to the roots! Auch in der Architektur verabschiedete man sich teils von der funkelnden Glaskasten-Moderne. In Hotels gab es wieder Bakelit-Schalter, richtige Zimmerschlüssel zum Umdrehen, Öko-Ideen.
Also etwas, das Köche und Architekten verbindet ...
Mehr noch, in beiden Berufen beherrschen Männer das Feld. Frauen sind die Ausnahme. Das mag auch an den knallharten hierarchischen Strukturen liegen. In einer Küche geht es ausgesprochen militärisch zu, da läuft alles nach Kommando. Das verkraftet auch nicht jeder. Aber viele Männer schätzen diese festen Strukturen. Ein ungewöhnliches Beispiel fällt mir da ein: Sebastian Brecht, ein Enkel von Bertolt Brecht, er ist Patissier in New York. Lange war er Messi, hat er mir erzählt, und hatte einen Job bei einem Schlüsseldienst. Einmal aber entdeckte er beim Aufbrechen einer Tür ein aufgeschlagenes Dessertbuch und war wie hypnotisiert von den klaren Strukturen der Rezepte. Er fing an Schokolade zu machen. Sein Leben bekam Ordnung, Sicherheit. Genussvoll gibt er weiter, was er in sich entdeckt hat. Seine Schokolade ist Klasse! Die Rezeptbücher der Architekten mögen Skizzen und Baupläne sein.
Ein weiteres extremes Beispiel ist Berlins Starkoch Tim Raue. Jeder kennt ihn. Was ist sein Erfolgsrezept?
Eigentlich alles, was gerade hier auf den Tisch kam, seine Lust auf Neues, sein Draufgängertum, gepaart mit Rückkehr zum Regionalen. Jedes Gericht spielt mit Roter Bete, sein Signature-Produkt, das Königsberger Klopse-Rezept seiner Oma, hat er mit Riesling-Beerenauslese in der Sauce salonfähig gemacht – und den Obamas auf Staatsbesuch serviert. Er hat sich auch alles selbst beigebracht ohne Abitur und Titel. Tim Raue steht für die absolute Befreiung und Demokratisierung der Köchewelt, ein ‚König Koch‘! Als King sieht er sich ja eh.
Danke für das Gespräch.
Das Interview ist ursprünglich im Magazin Berliner Leben, Frühjahr 2017, erschienen. ↩︎